X-RAY Die Macht des Röntgenblicks
X-RAY ist die erste Ausstellung überhaupt, die sich dem Phänomen der Röntgenstrahlen und den umfassenden kulturellen und künstlerischen Aspekten des Röntgenblicks widmet. Innerhalb kürzester Zeit hatte sich ab Ende 1895 die Erfindung der neuen, ins Unsichtbare vordringenden Strahlen weltweit verbreitet und einen Sturm der Begeisterung bei Physikern, Medizinern und einem interessierten Publikum entfesselt. Nach dem Fund am 8. November 1895 versandte Wilhelm Conrad Röntgen Sonderdrucke in fünf Sprachen mit einer genauen Beschreibung seiner Versuchsanordnung, so dass in unzähligen, gleich ausgestatteten Labors von Buenos Aires über Wien, St. Petersburg, Calcutta bis Melbourne die Erzeugung der Strahlen und Bilder von durchleuchteten Objekten wiederholt wurden. Der von einem Tag zum anderen berühmt gewordene Forscher verzichtete auf die Patentrechte, was für die Verbreitung der wundersamen Strahlen ausgesprochen förderlich war – und ihm 1901 den ersten Nobelpreis für Physik einbrachte.
Lange wusste man nicht, wie das Phänomen zu erklären ist. Röntgen und einige Kollegen sprachen von longitudinalen Wellen des Äthers. Erst Jahrzehnte später, 1948, entdeckte man die von Röntgen mit X bezeichneten Strahlen in der Sonne und erst 2003 konnten sie in Blitzen nachgewiesen werden.
Die Röntgenstrahlen sind das spektakulärste Ergebnis einer Suche nach dem Unsichtbaren um 1900. Spekulative Vorläufer in den Jahrzehnten davor zeigen, dass der Wunsch danach weit verbreitet war. In einer Geschichte von Kurd Laßwitz, dem Begründer der deutschsprachigen Science-Fiction, entwickelt ein Privatgelehrter das Diaphot, eine Substanz, die den Körper transparent macht. 1892 erschien unter dem Pseudonym Philander der Roman „Elektra“. Daraus stammt der vielzitierte Wunsch eines Landarztes: „Ach... wenn es doch ein Mittel gäbe, den Menschen durchsichtig zu machen wie eine Qualle.“
Im Jahr der Entdeckung der Röntgenstrahlen 1895 verwendet Sigmund Freud erstmals den Begriff „Psychoanalyse“, mit welcher er in die Tiefenschichten der Träume und des Unbewussten vordringen wird.
Ebenfalls 1895 wird der erste kommerzielle Film im Bioskopformat in Berlin aufgeführt, schon 1897 führt G.A. Smith in seinen Kurzfilm „X-Rays“ mit einem Liebespaar als Protagonisten Kino und Röntgenstrahlen spielerisch zusammen. In eben dieser Zeit entdecken Bakteriologen eine bis dato unbekannte „Lebensform“: die Viren. Eros, Techne (griech. für Kunst, Wissenschaft, Technik) und Thanatos sind von Anbeginn fundamental mit dem Röntgenblick verbunden.
Die Ausstellung X-RAY zeigt u.a. das weite Spektrum der Röntgentechnik und ihrer Anwendungen von frühen Laboraufbauten und Röntgenbildern über das Pedoskop, mit dem man ab 1920 die passenden Schuhgrößen ermittelte, bis hin zu Röntgen-Satelliten wie eROSITA, die heute schwarze Löcher sowie Galaxien im Weltraum erforschen. Ob Nah- oder Fernsicht, im Zentrum steht immer die Durchleuchtung von unbelebter wie belebter Materie. Ikonisch wird der Röntgenblick im „Gläsernen Menschen“, entwickelt Ende der 1920er Jahre vom Deutschen Hygiene-Museum Dresden, der den komplexen Aufbau des menschlichen Körperinneren exemplarisch sichtbar werden lässt.
Die bildgebenden Verfahren der Röntgentechnik haben sich immer mehr verbessert (CT u.a.). Bei Untersuchungen wird die Strahlenbelastung heute so gering wie möglich gehalten. Während die Radiologie zur immer wieder weiterentwickelten Routine geworden ist, zeigen sich kulturelle Akteur:innen bis in die Gegenwart in unterschiedlichster Weise von diesem Phänomen fasziniert.
Die kreativen Mittel der weltweit aktiven Künstler:innen, die Werke durch Röntgenstrahlen, mit Röntgenbildern oder inspiriert vom Röntgenblick geschaffen haben, reichen vom Einsatz originaler Röntgenbilder, die zugeschnitten, übermalt, durch unterschiedliche Materialien und Farben bearbeitet, ergänzt und collagiert werden, über digitale Vergrößerungen, die als Vorlagen für Glasfenster verwendet werden, bis hin zu grafischen Simulationen des Phänomens. Radiologische Motive tauchen als Teilstücke in Gemälden, Skulpturen und Grafiken auf. Totenschädel als Vanitas-Motiv und Skelette setzen die lange Tradition des Memento Mori und Totentanzes auf ganz eigene Art fort.
Röntgenbilder zeichnen sich als Bildträger durch Verfremdung, schattenhaften Entzug der dreidimensionalen Räumlichkeit, metaphorisch durch das Sichtbarmachen des Unsichtbaren und verborgener Strukturen aus, also durch eine Abkehr von der traditionellen, realistisch-mimetischen Wiedergabe der Wirklichkeit. Auch deshalb wird dieses Medium, entwickelt an der Schwelle zum 20. Jahrhundert, zum Kennzeichen moderner Kunst.
Besonders deutlich wird der Verzicht auf das gewohnte Menschenbild, wenn, beginnend mit Meret Oppenheim, Röntgenaufnahmen von Schädeln als Selbstporträts vorgestellt werden. Erst unter der Oberfläche zeigt sich die individuelle (oder gerade überindividuelle) Identität.
Der Einfluss der Röntgenbilder reicht jedoch weit über die bildende Kunst hinaus. Die radiologische Ästhetik erstreckt sich von Architektur über Mode und Werbung bis hin zu Karikaturen und Comics. Röntgenbilder finden sich als das Leben und den Alltag durchdringende Zitate in der Literatur (Marcel Proust, Franz Kafka, Jirí Wolker, Thomas Mann, Durs Grünbein u.v.a.m.) und werden werkbestimmend in Film und Fernsehen (Adventures of Superman, 1952, X-Ray-Eyes, 1963, Smallville, 2001-2011, Superman Returns, 2006, Apples, 2020, u.a.m).
Lange wusste man nicht, wie das Phänomen zu erklären ist. Röntgen und einige Kollegen sprachen von longitudinalen Wellen des Äthers. Erst Jahrzehnte später, 1948, entdeckte man die von Röntgen mit X bezeichneten Strahlen in der Sonne und erst 2003 konnten sie in Blitzen nachgewiesen werden.
Die Röntgenstrahlen sind das spektakulärste Ergebnis einer Suche nach dem Unsichtbaren um 1900. Spekulative Vorläufer in den Jahrzehnten davor zeigen, dass der Wunsch danach weit verbreitet war. In einer Geschichte von Kurd Laßwitz, dem Begründer der deutschsprachigen Science-Fiction, entwickelt ein Privatgelehrter das Diaphot, eine Substanz, die den Körper transparent macht. 1892 erschien unter dem Pseudonym Philander der Roman „Elektra“. Daraus stammt der vielzitierte Wunsch eines Landarztes: „Ach... wenn es doch ein Mittel gäbe, den Menschen durchsichtig zu machen wie eine Qualle.“
Im Jahr der Entdeckung der Röntgenstrahlen 1895 verwendet Sigmund Freud erstmals den Begriff „Psychoanalyse“, mit welcher er in die Tiefenschichten der Träume und des Unbewussten vordringen wird.
Ebenfalls 1895 wird der erste kommerzielle Film im Bioskopformat in Berlin aufgeführt, schon 1897 führt G.A. Smith in seinen Kurzfilm „X-Rays“ mit einem Liebespaar als Protagonisten Kino und Röntgenstrahlen spielerisch zusammen. In eben dieser Zeit entdecken Bakteriologen eine bis dato unbekannte „Lebensform“: die Viren. Eros, Techne (griech. für Kunst, Wissenschaft, Technik) und Thanatos sind von Anbeginn fundamental mit dem Röntgenblick verbunden.
Die Ausstellung X-RAY zeigt u.a. das weite Spektrum der Röntgentechnik und ihrer Anwendungen von frühen Laboraufbauten und Röntgenbildern über das Pedoskop, mit dem man ab 1920 die passenden Schuhgrößen ermittelte, bis hin zu Röntgen-Satelliten wie eROSITA, die heute schwarze Löcher sowie Galaxien im Weltraum erforschen. Ob Nah- oder Fernsicht, im Zentrum steht immer die Durchleuchtung von unbelebter wie belebter Materie. Ikonisch wird der Röntgenblick im „Gläsernen Menschen“, entwickelt Ende der 1920er Jahre vom Deutschen Hygiene-Museum Dresden, der den komplexen Aufbau des menschlichen Körperinneren exemplarisch sichtbar werden lässt.
Die bildgebenden Verfahren der Röntgentechnik haben sich immer mehr verbessert (CT u.a.). Bei Untersuchungen wird die Strahlenbelastung heute so gering wie möglich gehalten. Während die Radiologie zur immer wieder weiterentwickelten Routine geworden ist, zeigen sich kulturelle Akteur:innen bis in die Gegenwart in unterschiedlichster Weise von diesem Phänomen fasziniert.
Die kreativen Mittel der weltweit aktiven Künstler:innen, die Werke durch Röntgenstrahlen, mit Röntgenbildern oder inspiriert vom Röntgenblick geschaffen haben, reichen vom Einsatz originaler Röntgenbilder, die zugeschnitten, übermalt, durch unterschiedliche Materialien und Farben bearbeitet, ergänzt und collagiert werden, über digitale Vergrößerungen, die als Vorlagen für Glasfenster verwendet werden, bis hin zu grafischen Simulationen des Phänomens. Radiologische Motive tauchen als Teilstücke in Gemälden, Skulpturen und Grafiken auf. Totenschädel als Vanitas-Motiv und Skelette setzen die lange Tradition des Memento Mori und Totentanzes auf ganz eigene Art fort.
Röntgenbilder zeichnen sich als Bildträger durch Verfremdung, schattenhaften Entzug der dreidimensionalen Räumlichkeit, metaphorisch durch das Sichtbarmachen des Unsichtbaren und verborgener Strukturen aus, also durch eine Abkehr von der traditionellen, realistisch-mimetischen Wiedergabe der Wirklichkeit. Auch deshalb wird dieses Medium, entwickelt an der Schwelle zum 20. Jahrhundert, zum Kennzeichen moderner Kunst.
Besonders deutlich wird der Verzicht auf das gewohnte Menschenbild, wenn, beginnend mit Meret Oppenheim, Röntgenaufnahmen von Schädeln als Selbstporträts vorgestellt werden. Erst unter der Oberfläche zeigt sich die individuelle (oder gerade überindividuelle) Identität.
Der Einfluss der Röntgenbilder reicht jedoch weit über die bildende Kunst hinaus. Die radiologische Ästhetik erstreckt sich von Architektur über Mode und Werbung bis hin zu Karikaturen und Comics. Röntgenbilder finden sich als das Leben und den Alltag durchdringende Zitate in der Literatur (Marcel Proust, Franz Kafka, Jirí Wolker, Thomas Mann, Durs Grünbein u.v.a.m.) und werden werkbestimmend in Film und Fernsehen (Adventures of Superman, 1952, X-Ray-Eyes, 1963, Smallville, 2001-2011, Superman Returns, 2006, Apples, 2020, u.a.m).